Diskussionsunterlagen
2000


Address by Stanley Fischer
Acting Managing Director
International Monetary Fund
Given at the Conference on "Promoting Dialogue:
Global Challenges and Global Institutions"
at American University
Washington, D.C.,
April 13, 2000

Publications on Globalization



00/01(G)
Globalisierung: Bedrohung oder Chance?
Der IWF-Stab

12. April 2000

Also available:
English
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I Einführung
II Was ist Globalisierung?
III Einzigartiges Wachstum, zunehmende Ungleichheit: Einkommenstrends im 20. Jahrhundert
IV Entwicklungsländer: Wie weit sind sie integriert?
V Vergrößert die Globalisierung Armut und Ungleichheit?
VI Wie können die ärmsten Länder schneller aufholen?
VII Aus der Sicht der fortgeschrittenen Länder: Schadet die Globalisierung den Interessen der Arbeitnehmer?
VIII Sind regelmäßige Krisen eine zwangsläufige Folge der Globalisierung?
IX Die Rolle der Institutionen und Organisationen
X Schlussfolgerung


I.  Einführung

Der Ausdruck ,,Globalisierung" wird sehr emotional verwendet. Einige betrachten sie als einen Prozess, der positiv -- ein Schlüssel für die zukünftige Entwicklung der Weltwirtschaft -- und außerdem unvermeidbar und unumkehrbar ist. Andere betrachten sie mit Argwohn oder sogar Angst, da sie glauben, dass sie die Ungleichheit innerhalb der Länder und zwischen den Ländern vergrößert, die Beschäftigung und den Lebensstandard bedroht und den sozialen Fortschritt verhindert. Diese Diskussionsunterlage bietet einen Überblick über einige Aspekte der Globalisierung und zielt darauf ab, Wege aufzuzeigen, durch die die Länder an den Vorteilen dieses Prozesses teilhaben können und gleichzeitig realistisch bleiben in Bezug auf seine Möglichkeiten und Risiken.

Die Globalisierung bietet große Möglichkeiten für eine wirklich weltweite Entwicklung, sie verläuft jedoch nicht gleichmäßig. Einige Länder integrieren sich schneller in die Weltwirtschaft als andere. Die Länder, denen es gelungen ist, sich zu integrieren, weisen ein schnelleres Wachstum und eine niedrigere Armut auf. Nach außen gerichtete Politiken haben Dynamik und größeren Wohlstand für einen großen Teil Ostasiens gebracht, einer Region, die vor 40 Jahren zu den ärmsten der Welt gehörte. Mit steigendem Lebensstandard wurde es auch möglich, Fortschritte bei der Demokratie und wirtschaftlichen Fragen wie Umwelt und Arbeitsnormen zu erzielen.

In vielen Ländern Lateinamerikas und Afrikas, die sich in den 70er und 80er Jahren abschotteten, stagnierte dagegen das Wachstum oder war rückläufig, nahm die Armut zu und wurde eine hohe Inflation die Norm. In vielen Fällen, insbesondere in Afrika, wurden die Probleme durch ungünstige externe Entwicklungen noch verschlimmert. Als diese Regionen ihre Politiken änderten, begann ihr Einkommen zu steigen. Eine weitreichende Umwandlung findet statt. Die Förderung dieser Entwicklung -- und nicht ihre Umkehr -- ist der beste Weg zur Stärkung von Wachstum, Entwicklung und Armutsverringerung.

Die Krisen in den aufstrebenden Marktwirtschaften in den 90er Jahren haben eindeutig gezeigt, dass die Chancen der Globalisierung nicht ohne Risiken sind -- Risiken, die sich aus volatilen Kapitalströmen ergeben und die Risiken sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Zerfalls, der durch Armut verursacht wird. Dies ist jedoch kein Grund, eine neue Richtung einzuschlagen, sondern es bedeutet vielmehr für alle Beteiligten -- in den Entwicklungsländern, in den fortgeschrittenen Ländern und natürlich für die Investoren -- ihre Vorgehensweise zu ändern, um starke Volkswirtschaften und ein stärkeres Weltfinanzsystem zu schaffen, das zu schnellerem Wachstum führt und gewährleistet, dass die Armut verringert wird.

Wie kann man den Entwicklungsländern, insbesondere den ärmsten, dabei helfen aufzuholen? Verschärft die Globalisierung die Ungleichheit oder kann sie dazu beitragen, die Armut zu verringern? Und sind Länder, die sich in die Weltwirtschaft integrieren, zwangsläufig anfällig für Instabilität? Das sind einige der Fragen, die in den folgenden Abschnitten behandelt werden.

II.  Was ist Globalisierung?

Wirtschaftliche ,,Globalisierung" ist ein historischer Prozess, das Ergebnis menschlicher Innovation und technologischen Fortschritts. Sie bezieht sich auf die steigende Integration der Volkswirtschaften auf der ganzen Welt, insbesondere durch Handel und Finanzströme. Der Ausdruck bezieht sich manchmal auch auf die Bewegung von Menschen (Arbeitskräften) und Wissen (Technologie) über internationale Grenzen hinweg. Es gibt auch breitere kulturelle, politische und ökologische Dimensionen der Globalisierung, die hier nicht erfasst werden.

Im Grunde genommen gibt es nichts Geheimnisvolles bei der Globalisierung. Der Ausdruck wird seit den 80er Jahren allgemein verwendet und ist Ausdruck der technologischen Fortschritte, die internationale Transaktionen leichter und schneller machen -- sowohl im Handel als auch bei den Finanzströmen. Er bezieht sich auf eine Ausweitung der gleichen Marktkräfte, die seit Jahrhunderten auf allen Ebenen der menschlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten wirken -- Dorfmärkte, städtische Industrien oder Finanzzentren -- über die nationalen Grenzen hinaus.

Die Märkte stärken die Effizienz durch Wettbewerb und Arbeitsteilung -- die Spezialisierung, die es Menschen und Volkswirtschaften erlaubt, sich darauf zu konzentrieren, was sie am besten können. Weltmärkte bieten den Menschen größere Möglichkeiten, mehr und größere Märkte auf der ganzen Welt zu nutzen. Das bedeutet, dass sie Zugang zu mehr Kapitalströmen, Technologie, billigeren Einfuhren und größeren Exportmärkten haben. Die Märkte stellen jedoch nicht automatisch sicher, dass alle an den Vorteilen einer steigenden Effizienz teilhaben. Die Länder müssen dazu bereit sein, die erforderlichen Politiken zu verfolgen, und die ärmsten Länder benötigen manchmal die Unterstützung der Völkergemeinschaft bei diesen Bemühungen.

III.  Einzigartiges Wachstum, zunehmende Ungleichheit:
Einkommenstrends im 20. Jahrhundert

Die Globalisierung ist keineswegs ein junges Phänomen. Einige Analytiker argumentieren, dass die Weltwirtschaft vor 100 Jahren genauso globalisiert war wie heute. Heute sind Handel und Finanzdienstleistungen jedoch viel weiter entwickelt und tiefer integriert als zur damaligen Zeit. Der auffallendste Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Integration der Finanzmärkte, die durch moderne elektronische Kommunikation ermöglicht wurde.

Das 20. Jahrhundert ist gekennzeichnet von einem einzigartigen Wirtschaftswachstum, durch das sich das weltweite Pro-Kopf-BIP fast verfünffacht hat. Dieses Wachstum war jedoch nicht beständig -- die stärkste Expansion erfolgte in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, einer Zeit mit einer raschen Zunahme des Handels, die mit einer Liberalisierung einherging -- zuerst für den Handel und normalerweise etwas später für den Finanzsektor. Abbildung 1a untergliedert das Jahrhundert in vier Zeiträume.1 In der Zeit zwischen den Kriegen wandte sich die Welt vom Internationalismus -- oder der Globalisierung wie wir es heute nennen -- ab, und die Länder zogen sich in geschlossene Volkswirtschaften, Protektionismus und weitreichende Kapitalkontrollen zurück. Dies war ein wichtiger Faktor für die vernichtende Bilanz in diesem Zeitraum, als das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens von 1913-1950 auf unter ein Prozent sank. Im übrigen Zeitraum des Jahrhunderts lag das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens bei über zwei Prozent, obwohl die Bevölkerung so schnell wuchs wie noch nie zuvor, wobei die schnellste Steigerung während des Nachkriegsbooms in den Industriestaaten zu verzeichnen war.

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts weist ein bemerkenswertes Wachstum des Durchschnittseinkommens auf, es ist jedoch ebenfalls recht offensichtlich, dass der Fortschritt nicht gleichmäßig verteilt war. Die Kluft zwischen reichen und armen Ländern sowie zwischen Reichen und Armen innerhalb der Länder ist größer geworden. Während sich das Pro-Kopf-BIP bei dem reichsten Viertel der Weltbevölkerung im Laufe dieses Jahrhunderts fast versechsfacht hat, hat es sich bei dem ärmsten Viertel noch nicht einmal verdreifacht (Schaubild 1b). Die Einkommensungleichheit hat eindeutig zugenommen. Wie weiter unten erläutert, zeigt das Pro-Kopf-BIP jedoch nicht das ganze Bild (siehe Abschnitt IV).

IV.  Entwicklungsländer: Wie weit sind sie integriert?

Globalisierung bedeutet, dass der Welthandel und die Finanzmärkte stärker integriert werden. Wie stark haben sich aber die Entwicklungsländer an dieser Integration beteiligt? Ihre Erfahrungen beim Aufholen gegenüber den fortgeschrittenen Volkswirtschaften sind gemischt. Schaubild 2a zeigt, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen in einigen Ländern, insbesondere in Asien, seit 1970 rasch auf das Niveau der Industrieländer zubewegt hat. Eine größere Anzahl von Entwicklungsländern hat nur geringe Fortschritte erzielt oder ist sogar zurückgefallen. Das Pro-Kopf-Einkommen ist insbesondere in Afrika im Vergleich zu den Industriestaaten zurückgegangen, und in einigen Ländern ist es sogar absolut gesunken. Schaubild 2b verdeutlicht einen Teil der Erklärung: bei den Ländern, die aufholen, handelt es sich um Länder, in denen der Handel stark zugenommen hat.

Die folgenden vier Aspekte der Globalisierung sind hervorzuheben:

  • Handel: Die Entwicklungsländer als Ganzes haben ihren Anteil am Welthandel von 19 % 1971 auf 29 % 1999 erhöht. Schaubild 2b zeigt jedoch große Unterschiede zwischen den wichtigsten Regionen. So haben zum Beispiel die Schwellenländer in Asien Erfolge aufzuweisen, während es Afrika als Ganzes schlecht ergangen ist. Die Zusammensetzung der Exporte der Länder ist ebenfalls wichtig. Die bei weitem größte Steigerung ist in der Ausfuhr von Fertigungsgütern zu verzeichnen. Der Anteil der Primärgüter -- wie Nahrungsmittel und Rohstoffe -- die häufig von den ärmsten Ländern produziert werden, am Welthandel hat abgenommen.

    • Kapitalbewegungen: Schaubild 3 verdeutlicht, was viele Menschen mit der Globalisierung verbinden, nämlich eine große Zunahme der privaten Kapitalströme in die Entwicklungsländer während eines großen Teils der 90er Jahre. Sie zeigt außerdem, dass (a) die Zunahme auf eine besonders ,,trockene" Periode in den 80er Jahren folgte; (b) der Nettostrom an öffentlicher ,,Unterstützung" oder Entwicklungshilfe seit Anfang der 80er Jahre beträchtlich gesunken ist und (c) die Zusammensetzung der privaten Ströme sich dramatisch verändert hat. Ausländische Direktinvestitionen sind zur wichtigsten Kategorie geworden. Sowohl Portfolioinvestitionen als auch Bankkredite haben zugenommen, sie schwankten jedoch mehr und fielen stark im Anschluss an die Finanzkrisen Ende der 90er Jahre.

    • Bewegung von Personen: Arbeitnehmer ziehen unter anderem von einem Land in ein anderes, um bessere Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden. Die betroffenen Zahlen sind immer noch relativ niedrig, im Zeitraum 1965-90 ist weltweit der Anteil der Arbeitskräfte, die in einem anderen Land geboren wurden, um ungefähr die Hälfte gestiegen. Der größte Teil der Migration erfolgt zwischen Entwicklungsländern. Der Strom der Wanderarbeitnehmer in die fortgeschrittenen Volkswirtschaften wird aber voraussichtlich dazu führen, dass die Löhne weltweit einander angenähert werden. Es besteht außerdem die Möglichkeit, dass Fachkenntnisse in die Entwicklungsländer zurück transferiert werden und dass die Löhne in diesen Ländern steigen.

    • Verbreitung von Wissen (und Technologie): Der Informationsaustausch ist ein wesentlicher und häufig übersehener Aspekt der Globalisierung. So führen ausländische Direktinvestitionen nicht nur zu einem Wachstum des materiellen Kapitalstocks, sondern auch zu technischer Innovation. Im allgemeinen steht Wissen über die Produktionsmethoden, Managementtechniken, Exportmärkte und Wirtschaftspolitiken zu sehr niedrigen Kosten zur Verfügung und stellt eine sehr wertvolle Ressource für die Entwicklungsländer dar.

    Der Sonderfall der Volkswirtschaften, die sich im Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft befinden, -- auch sie integrieren sich stärker in die Weltwirtschaft -- wird hier nicht eingehend untersucht. Der Ausdruck ,,Übergangsland" verliert seinen Sinn. Einige Länder (z.B. Polen und Ungarn) nähern sich recht schnell der Struktur und der Leistung der fortgeschrittenen Länder an. Andere (wie die meisten Länder der ehemaligen Sowjetunion) stehen vor langfristigen strukturellen und institutionellen Problemen, die denen der Entwicklungsländer ähnlich sind.

                                       1 Ohne Öl exportierende Länder
                                       2 Im Wesentlichen Bankkredite

    V.  Vergrößert die Globalisierung Armut und Ungleichheit?

    Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist das weltweite durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen stark gestiegen, wobei jedoch große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern festzustellen waren. Es ist klar, dass sich das Einkommensgefälle zwischen reichen und armen Ländern viele Jahrzehnte lang vergrößert hat. Im jüngsten World Economic Outlook (Weltwirtschaftsausblick) werden 42 Länder untersucht (die fast 90 % der Weltbevölkerung darstellen), für die für das gesamte 20. Jahrhundert Daten vorliegen. Er kommt dabei zu der Schlussfolgerung, dass die Pro-Kopf-Produktion spürbar gestiegen ist, aber dass die Einkommensverteilung zwischen den Ländern ungleicher geworden ist als zu Beginn des Jahrhunderts.

    Die Einkommen stellen jedoch nicht das ganze Bild dar; breiter gefasste Messungen der Wohlfahrt, die die sozialen Bedingungen berücksichtigen, zeigen, dass die armen Länder beträchtliche Fortschritte erzielt haben. So haben einige einkommensschwache Länder wie zum Beispiel Sri Lanka beachtliche soziale Indikatoren. Aus einem vor kurzem erstellten Dokument 2 geht hervor, dass das Bild, das entsteht, ganz anders ist, als die Einkommensdaten allein aufzeigen, wenn die Länder unter Verwendung der UN-Indikatoren der menschlichen Entwicklung (HDI), die Bildung und Lebenserwartung berücksichtigen, verglichen werden.

    Es ist sogar möglich, dass das Gefälle kleiner geworden ist. Eine auffallende Schlussfolgerung aus der Studie führt zu einem Phänomen, das man den Gegensatz zwischen einem ,,Einkommensgefälle" und einem ,,HDI-Gefälle" nennen könnte. Die (inflationsbereinigten) Einkommensniveaus der heutigen armen Länder sind immer noch weit unter dem Niveau der Länder der Spitzengruppe im Jahre 1870. Und das Einkommensgefälle ist gestiegen. Wenn man sie jedoch nach ihren HDIs bewertet, sind die heutigen armen Länder eindeutig besser gestellt als die Länder der Spitzengruppe im Jahre 1870. Dies ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, dass die medizinischen Fortschritte und ein verbesserter Lebensstandard zu einer deutlich höheren Lebenserwartung geführt haben.

    Aber selbst wenn das HDI-Gefälle sich langfristig verringert, so fallen viel zu viele Menschen zurück. Die Lebenserwartung mag sich erhöht haben, aber für viele hat sich die Lebensqualität nicht verbessert, weil viele immer noch in erdrückender Armut leben. Und die Ausweitung von AIDS in Afrika im letzten Jahrzehnt senkt die Lebenserwartung in vielen Ländern.

    Dadurch sind Politiken, die speziell darauf abzielen, die Armut zu verringern, erneut dringlich geworden. Länder mit großem Wachstum, die die richtigen Politiken verfolgen, können davon ausgehen, dass die Armut nachhaltig verringert wird, da aus jüngsten Erkenntnissen hervorgeht, dass zwischen Wachstum und Armutsverringerung wenigstens eine Beziehung von eins zu eins besteht. Und wenn entschlossene Politiken zu Gunsten der Armen verfolgt werden -- zum Beispiel durch gezielte Sozialausgaben -- erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Wachstum zu einer schnelleren Armutsverringerung führt. Dies ist einer der zwingenden Gründe, weshalb alle für die Wirtschaftspolitik Verantwortlichen, einschließlich des IWF, das Ziel der Armutsverringerung ausdrücklicher verfolgen sollten.

    VI.  Wie können die ärmsten Länder schneller aufholen?

    Die Steigerung des Lebensstandards gründet sich auf die Akkumulierung von Sachkapital (Investitionen) und Humankapital (Arbeit) sowie auf den technologischen Fortschritt (Wirtschaftswissenschaftler sprechen von der Gesamtfaktorproduktivität).3 Viele Faktoren können diese Prozesse fördern oder behindern. Die Erfahrungen der Länder, die die Produktion am schnellsten gesteigert haben, zeigen wie wichtig es ist, Bedingungen zu schaffen, die einem langfristigen Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens förderlich sind. Wirtschaftliche Stabilität, der Aufbau von Institutionen und Strukturreform sind wenigstens genauso wichtig für die langfristige Entwicklung wie Finanztransfers, wie wichtig diese auch sein mögen. Es geht um das Gesamtpaket an Politiken, Finanzhilfe und technischer Hilfe sowie, falls erforderlich, Schuldenerleichterung.

    Zu den Bestandteilen eines solchen Pakets gehören:

    • Makroökonomische Stabilität zur Schaffung der für Investitionen und Sparen günstigen Bedingungen;
    • Nach außen gerichtete Politiken zur Förderung der Effizienz durch zunehmenden Handel und Investitionen;
    • Strukturreformen zur Förderung des Wettbewerbs im Inland;
    • Starke Institutionen und effektive Regierungen zur Förderung einer integren Regierungsführung;
    • Bildung, Ausbildung sowie Forschung und Entwicklung zur Förderung der Produktivität;
    • Auslandsschulden-Management zur Sicherstellung angemessener Ressourcen für eine nachhaltige Entwicklung.

    All diese Politiken sollten den Schwerpunkt auf von den Ländern mitgetragene Strategien legen, um die Armut zu verringern, indem Politiken zu Gunsten der Armen gefördert werden, die mit ausreichenden Haushaltsmitteln ausgestattet sind -- darunter Gesundheit, Bildung und starke soziale Sicherheitsnetze. Ein partizipatorischer Ansatz, einschließlich eines Dialogs mit der Zivilgesellschaft, wird die Erfolgsaussichten beträchtlich verbessern.

    Die fortgeschrittenen Volkswirtschaften können einen wichtigen Beitrag zu den Anstrengungen der einkommensschwachen Länder leisten, um sie in die Weltwirtschaft zu integrieren.

    • Durch die Förderung des Handels. Ein Vorschlag auf dem Tisch fordert einen uneingeschränkten Marktzugang für alle Exporte aus den ärmsten Ländern. Dies sollte ihnen dabei helfen, von der Spezialisierung auf Primärgüter zur Herstellung von verarbeiteten Gütern für den Export überzugehen.

    • Durch die Förderung der privaten Kapitalströme in die einkommensschwachen Länder, insbesondere in der Form von ausländischen Direktinvestitionen, mit den beiden Vorteilen beständiger Finanzströme und eines Technologietransfers.

    • Indem eine schnellere Schuldenerleichterung durch ein höheres Maß an neuer Finanzhilfe ergänzt wird. Die öffentliche Entwicklungshilfe ist in den fortgeschrittenen Ländern auf 0,24 % des BIP gesunken (1998) (im Vergleich zum UN-Ziel von 0,7 %). Michel Camdessus, ehemaliger Geschäftsführender Direktor des IWF, formulierte es folgendermaßen: ,,Die Ausrede einer Entwicklungshilfe-Verdrossenheit ist nicht glaubwürdig -- sie grenzt sogar an Zynismus -- in einer Zeit, in der die fortgeschrittenen Länder im letzten Jahrzehnt die Möglichkeit hatten, von den Vorteilen der Friedensdividende zu profitieren."

    Der IWF unterstützt Reformen in den ärmsten Ländern durch seine neue Armutsreduzierungs- und Wachstumsfazilität. Er leistet einen Beitrag zur Schuldenerleichterung durch die Initiative für die hochverschuldeten armen Länder.4

    VII.  Aus der Sicht der fortgeschrittenen Länder:
    Schadet die Globalisierung den Interessen der Arbeitnehmer?

    Ängste wegen der Globalisierung bestehen auch in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Wie real ist die empfundene Gefahr, dass der Wettbewerb aus den ,,Niedrigeinkommensländern" Arbeitnehmer aus gut bezahlten Stellen verdrängt und die Nachfrage nach weniger ausgebildeten Arbeitnehmern verringert? Sind die Änderungen, die in diesen Volkswirtschaften und Gesellschaften stattfinden, das direkte Ergebnis der Globalisierung?

    Die Volkswirtschaften entwickeln sich ständig weiter, und die Globalisierung ist ein anhaltender Trend unter mehreren anderen. Ein solcher Trend besteht darin, dass die Industrieländer das Reifestadium erreichen und dienstleistungsorientierter werden, um die sich ändernden Bedürfnisse ihrer Bevölkerung zu befriedigen. Ein weiterer Trend besteht in der Verlagerung zu mehr hoch qualifizierten Arbeitsplätzen. Alle Erkenntnisse weisen jedoch darauf hin, dass diese Änderungen auch ohne die Globalisierung stattfinden würden -- wenn auch nicht unbedingt im gleichen Tempo. Die Globalisierung erleichtert und verbilligt diesen Prozess für die Volkswirtschaft als Ganzes, indem sie die Vorteile der Kapitalströme, technologischer Innovationen und niedrigerer Einfuhrpreise ermöglicht. Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Lebensstandards sind höher als in einer geschlossenen Volkswirtschaft.

    Die Vorteile sind jedoch normalerweise innerhalb der Länder ungleich zwischen den Bevölkerungsgruppen verteilt, und es kann vorkommen, dass einige Gruppen benachteiligt werden. Es ist zum Beispiel möglich, dass Arbeitnehmer in alten, vom Niedergang betroffenen Industriezweigen den Übergang zu neuen Wirtschaftszweigen nur mit Schwierigkeiten bewältigen.

    Worin besteht die richtige politische Antwort? Sollten die Regierungen versuchen, bestimmte Gruppen wie Arbeitnehmer mit niedrigem Lohn oder alte Industriezweige zu beschützen, indem sie den Handel oder die Kapitalströme beschränken? Ein solcher Ansatz kann einigen kurzfristig helfen, er geht letztendlich jedoch auf Kosten des Lebensstandards der Gesamtbevölkerung. Die Regierungen sollten vielmehr Politiken verfolgen, die die Integration in die Weltwirtschaft fördern und gleichzeitig Maßnahmen ergreifen, um denjenigen zu helfen, die durch den Wandel beeinträchtigt werden. Die Gesamtwirtschaft profitiert mehr von Politiken, die sich auf die Globalisierung stützen, indem sie eine offene Wirtschaft fördern und gleichzeitig entschlossen dafür Sorge tragen, dass alle an den Vorteilen teilhaben. Die Regierungspolitik sollte sich auf zwei wichtige Themenbereiche konzentrieren:

    • Bildung und Ausbildung, um dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, in einer dynamischen, sich ändernden Volkswirtschaft die erforderlichen Fähigkeiten zu erwerben und

    • gezielte soziale Sicherheitsnetze, um Menschen zu unterstützen, die ihren Arbeitsplatz verlieren.

    VIII.  Sind regelmäßige Krisen eine zwangsläufige Folge der Globalisierung?

    Die aufeinander folgenden Krisen in den 90er Jahren -- Mexiko, Thailand, Indonesien, Korea, Russland und Brasilien -- haben einige zu der Schlussfolgerung veranlasst, dass Finanzkrisen ein direktes und unvermeidbares Ergebnis der Globalisierung sind. Eine Frage, die sich sowohl in den fortgeschrittenen als auch in den aufstrebenden Marktwirtschaften stellt, ist ob die Globalisierung den wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielraum einschränkt (Kasten 1).

    Kasten 1. Schränkt die Globalisierung die Souveränität der nationalen Regierungen in der Wirtschaftspolitik ein?

    Schränkt die zunehmende Integration, insbesondere im Bereich der Finanzen, den Gestaltungsspielraum der Regierungen in der Wirtschaftspolitik ein, indem die Entscheidungen der Regierungen zum Beispiel im Bereich der Steuersätze und Steuersysteme oder ihr Handlungsspielraum bei der Geld- oder Wechselkurspolitik begrenzt werden? Wenn man davon ausgeht, dass die Länder darauf abzielen, nachhaltiges Wachstum, niedrige Inflation und sozialen Fortschritt zu erzielen, lassen die Erkenntnisse der letzten 50 Jahre darauf schließen, dass die Globalisierung langfristig zu diesen Zielen beiträgt.

    Wie wir in den vergangenen Jahren gesehen haben, können kurzfristige volatile Kapitalströme die makroökonomische Stabilität bedrohen. In einer Welt integrierter Finanzmärkte wird es also immer gefährlicher für die Länder, Politiken zu verfolgen, die die Finanzstabilität nicht fördern. Diese Disziplin gilt ebenfalls für den Privatsektor, in dem es schwieriger wird, Lohnerhöhungen und Preisanhebungen durchzuführen, wenn dadurch das betroffene Land an Wettbewerbsfähigkeit verliert.

    Es gibt jedoch noch eine andere Art von Risiko. Manchmal beurteilen Investoren -- insbesondere kurzfristige Investoren -- die Aussichten eines Landes zu optimistisch, und die Kapitalströme dauern an, selbst wenn die Wirtschaftspolitik zu locker geworden ist. Dadurch läuft das Land die Gefahr eines abrupten massiven Kapitalabflusses, wenn die Lagebeurteilung sich ändert.

    Kurzum, die Globalisierung verringert die nationale Souveränität keineswegs. Sie schafft vielmehr starke Anreize für die Regierungen, eine solide Wirtschaftspolitik zu betreiben. Sie sollte Anreize für den Privatsektor schaffen, Risiken sorgfältig abzuwägen. Kurzfristige Kapitalströme können jedoch übermäßig volatil sein.

    Anstrengungen zur Erhöhung der Stabilität der internationalen Kapitalströme sind wesentlich für die laufenden Arbeiten zur Stärkung der internationalen Finanzarchitektur. In dieser Hinsicht wird manchmal die Sorge geäußert, dass die Globalisierung zur Abschaffung von Regeln oder Beschränkungen für Unternehmen führt. Das Gegenteil ist der Fall -- eines der wesentlichen Ziele der Arbeiten an der internationalen Finanzarchitektur ist die Entwicklung von Standards und Kodizes, die sich auf international anerkannte Grundsätze stützen, die in vielen unterschiedlichen nationalen Rahmenbedingungen umgesetzt werden können.

    Die Krisen hätten sich ohne die Öffnung zu den globalen Kapitalmärkten natürlich nicht so entwickelt. Aber ohne diese Finanzströme hätten diese Länder ihre beeindruckenden Wachstumsraten auch nicht erzielt.

    Die Krisen waren komplex und ergaben sich aus dem Zusammenspiel von Mängeln in der nationalen Politik und im internationalen Finanzsystem. Die einzelnen Regierungen und die Völkergemeinschaft als Ganzes unternehmen Schritte, um das Risiko solcher Krisen in der Zukunft zu verringern.

    Auf der nationalen Ebene waren einige der Länder trotz beachtlicher wirtschaftlicher Erfolge nicht ausreichend vorbereitet, möglichen Schocks zu widerstehen, die durch die internationalen Märkte entstehen können. Makroökonomische Stabilität, finanzielle Solidität, offene Volkswirtschaften, Transparenz und gute Regierungsführung sind wesentlich für Länder, die an den Weltmärkten teilnehmen. Alle Länder wiesen in einem oder mehreren Aspekten Mängel auf.

    Auf der internationalen Ebene wurden mehrere wichtige Verteidigungslinien gegen Krisen gebrochen. Die Investoren haben die Risiken nicht angemessen bewertet. Die Regulatoren und Aufsichtsbehörden in den wichtigsten Finanzzentren haben die Entwicklungen nicht genau genug überwacht. Weiterhin standen über einige internationale Investoren, insbesondere die Offshore-Finanzinstitutionen, nicht genügend Informationen zur Verfügung. Das führte dazu, dass die Märkte anfällig für ,,Herdenverhalten" waren -- plötzliche Verschiebungen in der Einschätzung der Investoren und rasche Kapitalbewegungen, insbesondere kurzfristige Zuflüsse und Abflüsse von Finanzströmen.

    Die Völkergemeinschaft reagiert auf die weltweiten Dimensionen der Krise durch ständige Bemühungen zur Stärkung der Architektur des internationalen Währungs- und Finanzsystems. Das breite Ziel besteht darin, dass die Märkte transparenter, gerechter und effizienter werden. Der IWF spielt eine Schlüsselrolle in diesem Prozess, die in weiteren Informationsblättern behandelt wird.5

    IX.  Die Rolle der Institutionen und Organisationen

    Nationale und internationale Institutionen, die zwangsläufig durch kulturelle Unterschiede beeinflusst werden, spielen eine wichtige Rolle im Prozess der Globalisierung. Vielleicht ist es am besten, den Kommentar eines externen Beobachters über die Rolle der Institutionen zu zitieren:

    ,,...Die Tatsache, dass das Entstehen stark integrierter Güter- und Finanzmärkte mit Handelsspannungen und Problemen im Bereich der Finanzstabilität einhergeht, sollte niemanden überraschen, ...... Die Überraschung besteht vielmehr darin, dass diese Probleme heute nicht noch schwerwiegender sind, wenn man bedenkt, dass das Ausmaß der Integration der Güter- und Finanzmärkte heute viel größer ist."

    ,,Eine Möglichkeit, (diese Überraschung) zu erklären, ist die stabilisierende Rolle der in der Zwischenzeit geschaffenen Institutionen. Auf der nationalen Ebene bedeutet dies soziale und finanzielle Sicherheitsnetze. Auf der internationalen Ebene wären die WTO, der IWF und der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht zu nennen. Diese Institutionen sind sicherlich nicht vollkommen, sie sind jedoch besser als gar nichts, wenn man die historische Korrelation zwischen dem Ausmaß der Integration einerseits und dem Ausmaß von Handelskonflikten und Finanzinstabilität andererseits berücksichtigt."6 (Klammer ergänzt)

    X.  Schlussfolgerung

    Mit fortschreitender Globalisierung haben sich die Lebensbedingungen (insbesondere bei Berücksichtigung breiter gefasster Indikatoren des Wohlergehens) in fast allen Ländern beträchtlich verbessert. Die größten Erfolge wurden jedoch von den fortgeschrittenen Ländern erzielt, wobei nur einige Entwicklungsländer daran teil haben.

    Die Tatsache, dass das Einkommensgefälle zwischen einkommensstarken und einkommensschwachen Ländern gestiegen ist, ist Grund zur Sorge. Und die Zahl der Menschen, die weltweit in erdrückender Armut leben, ist überaus beunruhigend. Es wäre jedoch falsch, die Schlussfolgerung zu ziehen, die Globalisierung habe diese Ungleichheit verursacht oder dass nichts getan werden könne, um die Lage zu verbessern. Im Gegenteil: die einkommensschwachen Länder konnten sich nicht so schnell in die Weltwirtschaft integrieren wie andere, teilweise auf Grund der von ihnen gewählten Politiken und teilweise auf Grund von Faktoren außerhalb ihrer Kontrolle. Kein Land, am wenigsten die ärmsten, kann es sich leisten, sich von der Weltwirtschaft abzuschotten. Jedes Land sollte versuchen, die Armut zu verringern. Die Völkergemeinschaft sollte sich bemühen, den ärmsten Ländern -- durch eine Stärkung des internationalen Finanzsystems, durch Handel und durch Hilfe -- sich in die Weltwirtschaft zu integrieren, schneller zu wachsen und die Armut zu verringern. Das ist der Weg, um dafür Sorge zu tragen, dass alle Menschen in allen Ländern Zugang zu den Vorteilen der Globalisierung haben.


    1Die Diskussion in diesem Abschnitt wird im World Economic Outlook, Internationaler Währungsfonds, Washington D.C., Mai 2000, erweitert.
    2Nicholas Crafts, Globalization and Growth in the Twentieth Century, IMF Working Paper, WP/00/44, Washington DC, April 2000.
    3Diese Themen werden im World Economic Outlook des IWF vom Mai 2000, Kapitel IV eingehender untersucht.
    4Sie werden in den Informationsblättern ,,Die Armutsreduzierungs- und Wachstumsfazilität (PRGF) -- Funktionsweise", and ",,Überblick: Umwandlung der Erweiterten Strukturanpassungsfazilität (ESAF) und der Schuldeninitiative für die hochverschuldeten armen Länder (HIPCs),"; die unter der Internet-Adresse www.imf.org. eingesehen werden können, beschrieben.
    5Siehe ,,Progress in Strengthening the Architecture of the International Monetary System": http://www.imf.org/external/np/exr/facts/arcguide.htm
    6Übersetzung des Zitats aus Bordo, Michael D., Barry Eichengreen und Douglas A. Irwin, Is Globalization Today Really Different than Globalization a Hundred Years Ago? Working Paper 7195, National Bureau of Economic Research, Cambridge, MA, Juni 1999.