Europa
Europa: Zusammenfassung
November 2019
Die Wirtschaftstätigkeit in Europa hat sich infolge der Schwäche im Handel und im verarbeitenden Gewerbe verlangsamt. In großen Teilen der Region ist die Verlangsamung weiterhin extern bedingt. Allerdings sind auch erste Anzeichen einer schwächeren Binnennachfrage zu erkennen, vor allem bei Investitionen. Der Dienstleistungssektor und der Konsum haben sich bisher dynamisch entwickelt, doch ihre Widerstandsfähigkeit ist eng mit den Bedingungen am Arbeitsmarkt verknüpft, die trotz einer gewissen Entspannung weiterhin robust sind. Weitere Unterstützung erhält die Binnennachfrage durch die in vielen Ländern betriebene expansive Fiskalpolitik und die gelockerten Finanzierungsbedingungen.
Das Wachstum dürfte in Europa von 2,3 Prozent im Jahr 2018 auf 1,4 Prozent im Jahr 2019 zurückgehen. Für 2020 wird mit einem leichten Aufschwung gerechnet, der mit einem Wachstum von 1,8 Prozent einhergeht, aufgrund einer voraussichtlichen Erholung des globale Handels und der Überwindung vergangener Belastungen in einigen Volkswirtschaften . Diese Prognose, die im Vergleich zum World Economic Outlook (Weltwirtschaftsausblick) vom April 2019 nahezu unverändert ist, kaschiert erhebliche Unterschiede zwischen Industrie- und Schwellenländern Europas. Die Wachstumsprognose für die Industrieländer Europas wurde um 0,1 Prozentpunkte auf 1,3 Prozent im Jahr 2019 nach unten korrigiert, während das Wachstum in den SchwellenländernEuropas um 0,5 Prozentpunkte auf 1,8 Prozent angehoben wurde.
Inmitten großer Unsicherheit bleiben die Risiken abwärts gerichtet, wobei ein ungeordneter Brexit auf kurze Sicht das größte Risiko darstellt, denn er könnte erhebliche negative Auswirkungen auf die Volkswirtschaften in der Region haben. Eine Verschärfung der Handelsspannungen und damit verbundene Unsicherheit könnten die Investitionstätigkeit ebenfalls belasten. Allgemeiner betrachtet könnte sich die Schwäche im Handel und im verarbeitenden Gewerbe schneller und in stärkerem Maße auf andere Sektoren ausweiten – insbesondere auf den Dienstleistungssektor –, als derzeit angenommen. Weitere Risiken ergeben sich aus dem abrupten Rückgang der Risikobereitschaft, aus den finanziellen Schwachstellen, dem erneuten Auftreten von Deflationsdruck in Industrieländer sowie aus Geopolitischen Entwicklungen.
Der verhaltene Inflationsdruck und die Konjunkturabkühlung in vielen europäischen Ländern machen eine Fortsetzung der unterstützenden Geldpolitik erforderlich. Das Wachstum der Löhne und Gehälter ist stärker gestiegen als die Produktivitätsgewinne, insbesondere in den neuen Mitgliedsländern der Europäischen Union. Allerdings dürfte sich, wie in Kapitel 2 erläutert, der Anstieg beim Lohnwachstum verhaltener auf die Inflation auswirken als in der Vergangenheit. Historisch betrachtet spielt das Lohnwachstum eine entscheidende Rolle für die Preisentwicklungen in Europa. Gleichwohl legt die Analyse den Schluss nahe, dass der Einfluss von Lohnänderungen auf die Preise geringer ist, wenn Inflation und Inflationserwartungen niedrig sind, die Rentabilität der Unternehmen hoch ist und Letztere einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt sind – alles Merkmale des aktuellen Wirtschaftsumfelds in einem Großteil Europas. Gleichzeitig verlangt die Fortsetzung der lockeren Geldpolitik für längere Zeit eine intensivere Überwachung der Schwachstellen im Finanzsektor – wie steigende Immobilienpreise – und gegebenenfalls den aktiven Einsatz makroprudenzieller Instrumente.
Weil die Arbeitslosenquoten weiterhin nahe oder unter den im Vorkrisenboom erreichten Niveaus liegen werden, sollte sich der fiskalpolitische Kurs der Länder grundsätzlich auch künftig an mittelfristigen Zielen orientieren. Gleichzeitig sollten Gesamthaushaltsdefizite zulässig sein, um zyklische Schwankungen in der Wirtschaftstätigkeit abzufedern. Länder mit umfassendem finanzpolitischen Spielraum sollten Maßnahmen ergreifen, um das Produktionspotenzial zu steigern und Länder mit hohem Schuldenstand und Haushaltsdefizit sollten ihre Konsolidierung grundsätzlich fortsetzen. Dies würde auch zur Beseitigung externer Ungleichgewichte beitragen. Angesichts der erhöhten Abwärtsrisiken sollten Notfallpläne bereitstehen, die beim Eintritt dieser Risiken zum Einsatz kommen, nicht zuletzt weil der Spielraum für wirksame geldpolitische Maßnahmen geschrumpft ist. Eine synchronisierte fiskalpolitische Antwort, die von Land zu Land unterschiedlich ausfällt, könnte sich als geeignet erweisen. Die Wiederbelebung struktureller Reformen, einschließlich durch höherer Erwerbsbeteiligung, Stärkung des Humankapitals und der Infrastruktur sowie stärkerer Governance, ist weiterhin entscheidend, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und langfristigen Herausforderungen, wie ungünstige demografische Trends, zu begegnen.