Euro 2.0: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Integration im Euroraum

25. Juni 2018

REDEFASSUNG

Einführung

Vielen Dank für Ihre freundliche Einführung, Philip.

Ich freue mich, Sie alle zur Konferenz anlässlich des 20. Geburtstags des Euro begrüßen zu dürfen, die gemeinsam von der irischen Zentralbank und dem IWF veranstaltet wird.

Wir kommen in einem Augenblick zusammen, in dem die EU und der Euroraum schwierige Entscheidungen über ihre Zukunft zu fällen haben. Populistische Bewegungen – vom Brexit bis zu den unlängst erfolgten Wahlen in Italien – stellen den Wert der europäischen Integration infrage. Ich weiß, dass Sie in den nächsten zwei Tagen über diese Zukunft sprechen und nach Wegen suchen werden, wie wir die Integration weiter voranbringen können. Diese Konferenz bietet aber auch Gelegenheit zu einer Rückschau, die uns zeigt, wie viel wir bereits erreicht haben.

Irland ist ein passender Ort, wenn man Anregungen für diese Zusammenkunft sucht. Irland ist schließlich ein Land der Dichter: James Joyce, Oscar Wilde, Samuel Beckett, Seamus Heaney, um nur die bekanntesten zu nennen.

Allerdings möchte ich unser heutiges Gespräch mit einer weniger bekannten Literatin beginnen, mit Maria Edgeworth. Edgeworth war eine irische Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts, Zeitgenossin von Jane Austen und eine ökonomische Denkerin, die häufig mit David Ricardo debattierte. Sie sagte einmal: „ Wenn wir uns um die Augenblicke kümmern, laufen die Jahre von selbst .“

Wie sind wir also an diesen Augenblick gelangt, und wie können wir ihn möglichst sinnvoll nutzen?

1. Rückschau – 20 Jahre Euro

Zentrales Thema unserer Konferenz sind die 20 Jahre seit der Einführung des Euro, aber der Weg zur Integration wurde bekanntlich bereits viel früher eingeschlagen.

Die gemeinsame Währung krönte das 50 Jahre währende Bestreben zur Überwindung wirtschaftlicher Grenzen. Heute gehören 19 von 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union dem Euroraum an und der Euro ist die zweitwichtigste Reservewährung der Welt.

Die Unternehmung hat sich als unglaublich erfolgreich erwiesen. Die Verknüpfungen zwischen den Nationen Europas sind tiefer, als viele sich in der Folgezeit des Zweiten Weltkriegs vorstellen konnten.

Dank der Integration Europas stieg der Lebensstandard auf dem gesamten Kontinent. In der Europäischen Union hat das reale BIP pro Kopf seit Mitte der 1990er Jahre um 40 Prozent zugenommen. Dieses Wachstum übertrifft die Expansion der Vereinigten Staaten im selben Zeitraum. [1]

Aber das ist nur ein Teil der Geschichte. Im Vorfeld der Einführung des Euro 1999 sahen wir eine starke Konvergenz der Realeinkommen in den ursprünglichen Mitgliedsländern des Euroraums. Die Zinsen begannen ihre Angleichung noch vor der Einführung der gemeinsamen Währung.

Wie wir jetzt wissen, trugen diese Verschiebungen in einigen Fällen zu übermäßiger Kreditaufnahme, unhaltbaren Wachstumsraten und schließlich zur Eurokrise bei.

In der Tat mussten einige Länder, die von der weltweiten Finanz- und der Eurokrise besonders stark getroffen wurden, mit ansehen, wie ihr Einkommenswachstum weit hinter die Raten ähnlich gestellter Länder zurückfiel. In vielen Ländern hat die Erholung erst jetzt wieder das Vorkrisenniveau erreicht.

Es ist also eine komplizierte Reise voll schwieriger Augenblicke – aber wir haben mit jedem Schritt wertvolle Erfahrungen gesammelt .

Irland liefert den Beweis.

Irland trat 1973 den Europäischen Gemeinschaften bei, war 1979 Gründungsmitglied des Europäischen Wechselkursmechanismus und unterzeichnete 1992 den Vertrag von Maastricht, mit dem der Euro auf den Weg gebracht wurde.

Bis zur Krise blühte Irland in der Wirtschafts- und Währungsunion auf. Viele von Ihnen werden sich an den Wirtschaftsboom Irlands, den sogenannten „Keltischen Tiger“, erinnern, der Anfang der 1990er begann. Wirtschafts- und Finanzintegration, unterstützt von Strukturreformen und Offenheit gegenüber ausländischen Investitionen und Handel, ließen Irland von einem der ärmeren Mitglieder der EU zu einem der wohlhabenderen Länder aufsteigen. Real hat sich das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen Irlands seit Unterzeichnung des Maastrichter Vertrags mehr als verdoppelt.

Gleichzeitig kam es dank der zunehmenden Finanzintegration zwischen den Ländern des Euroraums in der Folge des Maastrichter Vertrags in manchen Mitgliedsstaaten zu einer rapiden Kreditexpansion. Dies führte in Ländern wie Irland und Spanien zu unhaltbaren Immobilienbooms. Als die Blase platzte, bekamen die irischen Banken ernste Probleme, und Irland stand plötzlich im Mittelpunkt der Euro-Schuldenkrise.

Nach schwierigen Entscheidungen und Opfern der irischen Bevölkerung und mit Unterstützung europäischer Partner und des IWF ist die Volkswirtschaft Irlands wieder erstarkt.

So gesehen spiegeln die Geschicke Irlands die allgemeinen Erfahrungen des Euroraums wider: Im Alter von 20 Jahren ist der Euroraum reifer – mit einigen Blessuren, gewiss, aber auch stärker und bereit für die Zukunft.

Und das bringt uns zum jetzigen Augenblick.

2. Eine aktuelle Bestandsaufnahme – der Euro mit 20

Hierzu ein Zitat eines zeitgenössischen irischen Dichters, Bono: „ Stillstand bringt dich um, nicht Ehrgeiz.

Der Euroraum ist am besten, wenn er Ehrgeiz zeigt . Bedenken Sie nur, was in den letzten zehn Jahren geschaffen wurde.

Der Europäische Stabilitätsmechanismus und seine Vorgänger haben in Zusammenarbeit mit dem IWF den fünf von der Krise am schwersten getroffenen Ländern Kredite in Höhe von mehr als 250 Mrd. Euro gewährt, und jetzt stehen mit dem ESM glaubwürdige Ressourcen zur Krisenbekämpfung bereit.

Die Europäische Zentralbank trug ebenfalls zur Wiederherstellung der Stabilität bei. Als die Krise sich 2012 zuzuspitzen begann, machte die EZB deutlich, dass sie im Rahmen ihres Mandats bereit sei, „alles Notwendige“ für den Erhalt der Währungsunion zu tun.

Immer wieder meisterte Europa seine Herausforderungen und führte dabei wichtige institutionelle Reformen durch.

So trugen zum Beispiel die Entwicklung der Bankenunion und der Einheitliche Aufsichtsmechanismus sowie der Mechanismus zur Bankenabwicklung zur Entstehung eines einheitlicheren Bankensektors für den gesamten Euroraum bei.

Die Erfahrung Irlands war denn auch ein wichtiger Motivationsschub für viele dieser Reformen. Die neue Regelung für die Rettung und Abwicklung von Banken wurde nicht zuletzt als Lösung für die Probleme in Irland ausgearbeitet. Denn das größte Problem bestand darin, dass die Kosten der Bankenkrise, so auch der Schutz der Großgläubiger der irischen Banken, großenteils von den Steuerzahlern getragen wurden. Die neue Regelung soll die Sicherheit der Banken erhöhen. Und im Fall einer neuen Krise soll sie das Risiko eingrenzen, dass Steuerzahler für die Rettung der Banken aufkommen müssen.

Aber es gibt noch sehr viel mehr zu tun. Wir dürfen nicht still stehen, wir müssen weiterhin Ehrgeiz zeigen. Wir müssen den Blick nach vorn richten auf das, was ich als Euro 2.0 bezeichnen möchte.

3. Blick in die Zukunft – Euro 2.0

Nach meiner Auffassung muss hauptsächlich an drei Bereichen gearbeitet werden, um die Widerstandskraft des Euroraums zu stärken und seine Zukunft zu sichern. Natürlich werden sich Fortschritte nicht so leicht einstellen, und es wird dauern, bis Einvernehmen zu vielen heiklen Themen erzielt wird. Lassen Sie mich deshalb die einzelnen Bereiche kurz umreißen. Ich weiß, dass diese Themen in den nächsten zwei Tagen intensiv behandelt werden.

  • Erstens: Die Bankenunion sollte um ein adäquates Auffangnetz für einen Einheitlichen Abwicklungsfonds und eine gemeinsame Regelung zur Einlagensicherung ergänzt werden. Das ist wichtig, weil es mit den richtigen Sicherheitsvorkehrungen letzten Endes volkswirtschaftlich sinnvoll ist, die Kreditrisiken länderübergreifend zu versichern. Diese Versicherung kann den „Teufelskreis der Staatsbanken“ lindern helfen, der in der Krise eine große Rolle gespielt hatte.
  • Zweitens : Der Euroraum braucht eine echte Integration der Finanz- und Kapitalmärkte, die Investitionen unterstützen und in denen Unternehmen die Beschaffung von Mitteln im Ausland erleichtert wird. Kurzfristig muss unbedingt dafür gesorgt werden, dass die Regulierungs- und Aufsichtskapazitäten auf den Zustrom von Finanzfirmen vorbereitet sind, die infolge des Brexit nach Kontinentaleuropa – und nach Irland – umsiedeln werden. Mittelfristig wird eine stärkere Harmonisierung der nationalen Insolvenzregelungen und Wertpapierregulierungen vonnöten sein. Wir sehen einige Fortschritte und Potenzial in der Europäischen Verordnung über Wagniskapital, mit der Firmengründer leichter Kapital von Investoren in der ganzen EU beschaffen können.
  • Drittens : Der Euroraum kann Schritte in Richtung einer stärkeren fiskalischen Risikoteilung unternehmen und gleichzeitig die zugrunde liegenden fiskalischen Risiken abbauen. Während der letzten Krise hatte man sich zu stark auf die Geldpolitik verlassen. Einfach gesagt: Der Euroraum sollte nicht nicht die Fehler aus der Vergangenheit wiederholen. Mit mehr Risikoteilung und größeren nationalen Puffern könnten Länder beim nächsten Konjunkturrückgang Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen vermeiden. Der IWF unterbreitete unlängst seinen Vorschlag für eine zentrale Fiskalkapazität oder, wie wir es nannten, einen „Schlechtwetterfonds“. Andere wieder, so auch einige von Ihnen, machten andere Vorschläge für eine Fiskalkapazität des Euroraums. Unabhängig davon, welcher Vorschlag letzten Endes angenommen wird, ist jedes Land dafür verantwortlich, die gemeinsamen fiskalischen Regeln einzuhalten und die öffentliche Verschuldung abzubauen, wo sie zu hoch ist.

Alle diese Reformen sind wichtig, aber nur ein Teil der Lösung. Mehr fiskalische Integration und echte Banken- und Kapitalmarktunionen werden die Strukturschwächen, die das Wachstum in vielen Ländern bremsen, nicht beheben. Die Politik muss die schwierige Arbeit fortsetzen und ihre Volkswirtschaften durch die Umsetzung von Strukturreformen belastbarer und produktiver machen.

Dieser Augenblick – mit solidem Wachstum und stetig abnehmender Arbeitslosigkeit im gesamten Euroraum – ist der Zeitpunkt, um die schwierigen Herausforderungen anzugehen. In der letzten Zeit habe ich öfter einen berühmten Amerikaner irischer Abstammung zitiert, John Fitzgerald Kennedy, der seinem Land einmal sagte: „ Man muss das Dach reparieren, solange die Sonne scheint.“ Gerade jetzt brauen sich immer mehr dunkle Wolken am Horizont zusammen, sodass wir uns Kennedys Worte mit einem neuen Gefühl der Dringlichkeit zu Herzen nehmen sollten.

Schlussbemerkung

Es besteht kein Zweifel, dass die Sicherung des Euroraums für die nächsten zwanzig Jahre Geduld, kreatives Denken und stärkere Zusammenarbeit erfordert. Aber das ist nichts Neues.

Länder unter schwierigen Umständen zusammenzuführen, war die Mission des Euroraums seit seiner Gründung. Und wie ich bereits sagte, kann der Euroraum nicht nur ein netter Club in ruhigen Gewässern sein, wenn er tatsächlich seine Wirkung zeigen will. Er muss im Sturm starken Schutz bieten.

Das sollte das Ziel für die Zukunft sein.

In meiner Ansprache habe ich Edgeworth, Bono und Kennedy zitiert, aber jetzt möchte ich mit den Worten eines traditionelleren irischen Dichters schließen.

Yeats sagte einmal: „In den Träumen beginnt die Verantwortung.“ Das ist in vieler Hinsicht die Geschichte des Euroraums. Ein Traum, aber ein Traum, in dem jedes Land Verantwortung übernehmen muss, damit der Traum wahr wird.

Wenn ich mich in diesem Saal umsehe, entdecke ich viele begabte Wissenschaftler und Politiker. Und das gibt mir Zuversicht, dass Sie alle Ihren Teil zur Identifikation der bestehenden Probleme beitragen und Fortschritte bei der Entwicklung von Lösungen machen werden. Wir freuen uns, dass wir dabei Ihr Partner sein dürfen.

Vielen Dank.



[1] Reales BIP pro Kopf gemessen nach Kaufkraftparität

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